Connect with us

GUIDES

Führen auf Distanz –
 Prinzipien, Tools und Praktiken der virtuellen Zusammenarbeit

Ratgeber von Dr. Alena Jung:

Die Herausforderungen der Führung auf Distanz erfolgreich zu meistern, bedeutet Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit sowie ein kooperatives Miteinander im Team zu leben. Diese Qualitäten zu sichern, ist auch im normalen Arbeitsalltag eine wichtige Führungsaufgabe. In Zeiten von Home Office wird dies ungleich schwieriger. 

Ein gemeinsamer Arbeitsalltag, die persönlichen Gespräche in der Teeküche oder beim Mittagessen, die vielfältigen Möglichkeiten sich unkompliziert und von Angesicht zu Angesicht abzustimmen – Selbstverständlichkeiten, die im „normalen“ Arbeitsalltag das Fundament für die Entwicklung von Empathie, Wertschätzung und Vertrauen bilden, sind nicht mehr gegeben. 

Die gute Nachricht: Teamarbeit auf Distanz ist nicht über Nacht entstanden. Es gibt einen reichen Fundus an Erfahrung und Forschung zu den Prinzipien, Tools und Praktiken der Führung auf Distanz. Was können wir also tun, um unsere Teams und Projekte erfolgreich durch diese Zeit zu navigieren und für ein gutes Miteinander zu sorgen? 

 

Alles wie gehabt, aber doch irgendwie anders

Auf den ersten Blick scheinen sich die Prinzipien der Führung auf Distanz nicht sehr von dem zu unterscheiden, was wir bereits kennen. Die Wirksamkeit von Zielvereinbarungen, regelmäßige Feedbackrunden und klare Absprachen werden hervorgehoben. Perspektivwechsel und die Fähigkeit, sich auf jeden einzelnen Mitarbeiter individuell einzulassen, werden als wichtige Führungsqualitäten dargestellt. Führungsprinzipien also, die wir bereits kennen und im normalen Führungsalltag schon leben.

Schnell entsteht der Eindruck, alles sei wie gehabt, nur irgendwie aufwendiger, irgendwie mühseliger. Bis zu einem gewisser Grad ist dies richtig. Was Menschen verbindet, motiviert und antreibt, ändert sich ja schließlich nicht, nur weil wir im Home Office arbeiten. Warum sollten also die Prinzipien der Führung auf Distanz sich grundsätzlich von den Führungsprinzipien im „normalen“ Arbeitsmodus unterscheiden? 

Tatsächlich gibt es aber kritische Unterschiede. Wenn wir diese Differenzen nicht verstehen und unser Führungsverhalten nicht entsprechend anpassen, laufen wir Gefahr unsere Teams und auch uns selbst zu überfordern. 

 

Mitarbeitermotivation in der digitalen Welt – Einblicke aus der Motivationspsychologie

Was Menschen verbindet, motiviert und antreibt, ändert sich nicht, nur weil wir im Home Office arbeiten. Was sich aber durchaus ändert, ist, welche Motive durch diese Art der Zusammenarbeit befriedigt werden und auf welche Weise. 

Die Motivationspsychologie unterscheidet  zwischen dem anerkennungsorientierte und leistungsorientierte Menschen. und dem Leistungsmotiv. Anerkennungsorientierte Menschen brauchen die Wertschätzung, Kollegialität und auch Nähe ihrer Kollegen und Mitmenschen. Leistungsorientierte Menschen streben danach, Herausforderungen zu meistern und ihre Selbstwirksamkeit zu erleben. 

Jeder gesunde, erwachsene Mensch braucht sowohl Anerkennung, Wertschätzung und Nähe als auch das Erfolgserlebnis Herausforderungen aus eigener Kraft gemeistert zu haben. Meistens sind beide Motive aber nicht gleich stark ausgeprägt. Und diese Differenzen können in Zeiten von Home Office eine ungleich stärkere Auswirkung auf die Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit meiner Mitarbeiter haben als in Zeiten von Präsenzarbeit.

 

Anerkennungsorientierte Mitarbeiter und das Defizit-Model der Fernarbeit

Anerkennungsorientierte Mitarbeiter tun sich häufig mit dem Arbeiten im Home Office schwer. Sie brauchen den persönlichen Kontakt ihrer Kollegen und Vorgesetzten, um motiviert zu bleiben und die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zu spüren. Sind diese Mitarbeiter zu sehr auf sich gestellt, drohen sie uns verloren zu gehen. Ohne persönlichen Kontakt reduzieren sich Arbeitszufriedenheit und -leistung.

Fokussieren wir diese Mitarbeiter, haben wir das Gefühl, die zentrale Herausforderung der Führung auf Distanz bestehe darin, die fehlende Nähe und den Mangel an Kontakt zu kompensieren. Was wir mit dieser Art Beziehungsarbeit für unsere Mitarbeiter leisten, ist nicht zu unterschätzen. 

Ist unser Verständnis der Führung auf Distanz allein durch diesen Blickwinkel bestimmt, folgen wir aber einem Defizit-Model der Fernarbeit. Und dies ist ein fast sicheres Rezept, um uns selbst zu überfordern und zugleich das Potenzial der virtuellen Zusammenarbeit zu verspielen – insbesondere, da in der digitalen Welt persönliche Einflussnahme ebenso wie die Vorbildfunktion einer starken Führungspersönlichkeit deutlich an Wirksamkeit verlieren.

 

Autonomie und Eigenverantwortung als Grundpfeiler der virtuellen Zusammenarbeit

Leistungsorientierte Mitarbeiter genießen meistens den Freiraum und die Autonomie der virtuellen Zusammenarbeit. Sie können sich gut selbst strukturieren und wissen den Freiraum dieses Arbeitsmodus zu nutzen. Bei entsprechender Zielklarheit und Kompetenz kann man diese Mitarbeiter alleine laufen lassen. 

Und wenn mein Team nun mal nicht nur aus leistungsorientierten Mitarbeitern besteht? Ist dann Einzelbetreuung und aufwendige Beziehungsarbeit nicht die einzige Lösung? Nein!

Lange Zeit wurden Motive als integrale, in der frühsten Kindheit geformte, unabänderliche Bestandteile unserer Persönlichkeit betrachtet. Mit der Zeit haben Entwicklungspsychologen festgestellt , dass auch hier die Lernfähigkeit und Plastizität des menschlichen Wesens allzu leicht unterschätzt wird. Jeder von uns weiß, wie befriedigend es ist, Aufgaben effektiv zu erledigen, Herausforderungen erfolgreich zu meistern und inhaltlich voranzukommen. 

Eine Kernaufgabe der Führung auf Distanz ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Leistungsorientierung und damit die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter stärken. In einem von konstruktiver Feedback- und Erfolgsorientierung geprägten Umfeld nimmt nicht nur unsere Leistungsfähigkeit, sondern auch unsere Leistungsorientierung zu. Wir identifizieren uns verstärkt mit unseren Aufgaben und der Qualität unserer Arbeit. Wir lernen Hindernisse als Herausforderungen zu sehen und beginnen, die Selbstwirksamkeit, die wir bei der Überwindung von Herausforderungen erleben, zu genießen. 

Zieht man hingegen das Netz der Kontrollen und Abstimmungen zu eng, läuft man Gefahr, die intrinsische Motivation und das Leistungspotenzial leistungsorientierter Mitarbeiter zu (er)drosseln.

Virtuelle Teams brauchen Führungskräfte, die bereit sind, zu vertrauen und verstärkt auf Eigenverantwortung zu setzen. Sie brauchen Führungskräfte, die es verstehen, Mitarbeiter darin zu stärken, Herausforderungen anzugehen und Aufgaben möglichst eigenständig zu erledigen, ihre eigenen Ziele und Prioritäten zu setzen und Qualitätskriterien zu definieren. 

 

Fallstricke der Fernarbeit: Heads down und im Staffellauf

Auch mit einem Team eigenverantwortlicher und leistungsorientierter Mitarbeiter gibt es Fallstricke, an denen Sie als Führungskraft erfolgreich vorbei navigieren müssen. 

Aufgrund der zusätzlichen Abstimmungskosten verfallen viele Mitarbeiter bei Fernarbeit in einen Arbeitsmodus, den ich gerne als „Heads Down“ und im „Staffellauf“ beschreibe. Jeder arbeitet alleine für sich bis er seine Aufgaben möglichst vollständig fertig gestellt hat, übergibt dann den „Staffelstab“ an den nächsten Mitarbeiter. 

Bei Aufgaben, die weitestgehend unabhängig voneinander gut zu erledigen sind, ist auch nichts dagegen einzuwenden. Wo aber komplexe Abhängigkeiten bestehen und kollaboratives Arbeiten gefragt ist, kann dies sehr kontraproduktiv sein. In einem Workshop zu Führung auf Distanz hat einer meiner Teilnehmer die Situation so beschrieben: „Meine Mitarbeiter arbeiten im Home Office sehr selbstständig, aber in alle Himmelsrichtungen.“ 

Je stärker die gegenseitigen Abhängigkeiten, umso größer die Wahrscheinlichkeit von „Flaschenhalseffekten“: Arbeitsergebnisse bleiben in der Warteschleife stecken, Informationen kommen nicht zur rechten Zeit an der entscheidenden Stelle an. Im Ergebnis entstehen Qualitätsmängel und Missverständnisse, die zu spät bemerkt werden. Insbesondere jüngere und neue Mitarbeiter fühlen sich überfordert und klagen über zu wenig Unterstützung und Betreuung. 

Viele Führungskräfte versuchen dies durch noch mehr reden, abstimmen und kontrollieren in den Griff zu bekommen. Dies mündet in einen Führungsstil, der auf Dauer ein absolut sicheres Rezept für Überforderung ist. Wenn aber noch mehr Gespräche und Mikromanagement keine praktikable Möglichkeit sind, dem erhöhten Koordinationsaufwand der virtuellen Zusammenarbeit bewältigen zu können, was dann?

 

Autonomie und Eigenverantwortung braucht die richtigen Führungstools und -praktiken

Sollen Mitarbeiter selbständig und eigenverantwortlich arbeiten können, müssen ihre Aufgaben klar strukturiert sein. So ist eine zentrale Führungsaufgabe in virtuellen Teams, Erwartungen, Qualitätskriterien sowie relevante Kontextfaktoren für alle transparent und nachvollziehbar darzustellen.

Transparenz alleine reicht aber nicht. Ebenso wichtig ist ein gemeinsam getragenes Commitment, Qualitätskriterien umzusetzen und sich an Vereinbarungen zu halten. Commitment kann aber genauso wenig verordnet werden wie Vertrauen und Kooperationsbereitschaft. Dafür braucht es wiederum einen partizipativen Führungsstil, bei der Mitarbeiter an der Erarbeitung von Zielen, Qualitätskriterien und Vereinbarungen auf Augenhöhe beteiligt werden. 

Von ganz entscheidender Bedeutung dabei sind regelmäßige Reflektionsrunden zu der Zusammenarbeit: Was ist uns gut gelungen? Was war wiederum herausfordernd und ist uns nicht so gut gelungen? Wo sollten wir uns verbessern? Wie können wir diese Ziele realisieren? 

Zu häufig bleiben sonst Missverständnisse und Spannungen unbemerkt. Unausgesprochene Erwartungen, Bedürfnisse und Wünsche belasten dann das Miteinander, ohne dass nachvollziehbar ist, woher die Unzufriedenheit stammt. Gelingt es, regelmäßige Reflektions- und Feedbackrunden als Teil der Teamkultur zu etablieren, hat dies nicht nur eine positive Wirkung auf die Qualität der Arbeitsergebnisse, sondern auch auf die Qualität des Miteinanders im Team. Insbesondere in Zeiten von Home Office geht es dabei auch um Empathie, Wertschätzung und Vertrauen.

 

Führungstools aus der agilen Welt

In Zeiten von Home Office gewinnen Tools und Praktiken, welche die Selbststeuerungsfähigkeit auf Teamebene fördern, stark an Bedeutung. Hier hat die agile Welt viele Nützliches zu bieten: von digitalen Aufgabenboards, Dailys, Reviews, Retrospektiven bis zu Ampelsystemen. 

Ziel ist es, stets Transparenz, regelmäßiges Feedback, ein kontinuierliches Lernen und eine effektive Qualitätskontrolle bei möglichst viel Eigenverantwortung und Autonomie zu gewährleisten. Auch Mentoring- und Buddy-Systeme können sehr hilfreich sein, um neue und unerfahrene Mitarbeiter in Zeiten von Home Office zu befähigen, den Austausch und die Vernetzung im Team zu fördern. 

Entscheidend bei der Einführung neuer Führungsinstrumente ist eine klare Vorstellung davon, was der Nutzen sein soll, mit welchen Herausforderungen und Fallsticken umgangen werden muss und wie Eigenverantwortung und Selbststeuerung gefördert werden können.

Selbststeuerung zu fördern, bedeutet, nicht in die Falle zu tappen, als Führungskraft die Herausforderung der virtuellen Zusammenarbeit alleine schultern zu wollen. Es bedeutet Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen das Team gemeinsam die Verantwortung für die Qualität der Arbeitsergebnisse und des Miteinanders trägt.

 

Und in Zeiten von Corona?

In meinen Webinaren zu „Führung auf Distanz“ wird immer wieder gefragt, wie viel Anpassung sich derzeit lohnt. Schließlich ist das Arbeiten im Home Office für viele kein Model, das auf Dauer gedacht ist. Vielmehr geht es darum, diese Durststrecke möglichst gut zu überstehen, um baldmöglichst zum normalen Arbeitsmodus zurückkehren zu können. 

Veränderung ist kein Selbstzweck. Der Mensch liebt und braucht Routine. Gerade deswegen können die richtigen Routinen, Tools und Praktiken in Zeiten von Home Office viel Entlastung bringen. Gelingt es, diese Zeit zu nutzen, um die Selbststeuerungsfähigkeit von Ihrem Team zu stärken, werden Sie aus dieser Krise gestärkt herausgehen. 

Für viele Teams und Firmen wird es danach nicht mehr darum gehen, zum alten Arbeitsmodus zurückzukehren. Vielleicht wird sich auch für Sie eine Gelegenheit ergeben, selbstbestimmt Ihren Arbeitsmodus neu zu gestalten. Dann wird es darum gehen, das Erlernte zu nutzen, um je nach Teamzusammensetzung und Aufgabenbereich die ideale Balance zwischen Fern- und Präsenzarbeit, Selbststeuerung und top-down Koordination zu finden. 

 

Die Herausforderungen der Führung auf Distanz erfolgreich meistern

Falls Sie Unterstützung wünschen, die Herausforderungen der Führung auf Distanz zu meistern, stehe ich Ihnen gerne als Beraterin und/oder Sparringspartner zur Seite.

 

Um mehr über unsere Online-Workshops zu „Führung auf Distanz“ zu erfahren, lesen sie hier: 

https://signumberlin-business.de/event/fuehrung-auf-distanz/.

Dr. Alena Jung ist studierte und promovierte Organisationssoziologin mit einem system- und kommunikationstheoretischen Schwerpunkt. Seit 2015 begleitet sie Führungskräfte, Teams und Firmen darin, ihre Veränderungsprozesse erfolgreich umsetzen. Was Dr. Alena Jung als Coach und Beraterin auszeichnet: Analytische Schärfe, Engagement und die Bereitschaft, Selbstverständliches zu hinterfragen, wenn notwendig mit einer Prise Beharrlichkeit. Was sie motiviert und antreibt: Gemeinsam mit meinen Kunden neue Gestaltungsmöglichkeiten zu entdecken und die Wirksamkeit gezielt gesetzter Interventionen immer wieder mitzuerleben.

Trending